Liebe Gemeinde,
„Denn wer sicher wohnt vergisst, dass er auf dem Weg noch ist.“
Kennen Sie das Gefühl, nach einem Umzug in einem leeren Haus oder einer leeren Wohnung zu stehen? Die Wände sind frisch gestrichen, die Möbel zum Teil schon an ihrem Platz und alles, was man hat, ist sicher in Kisten verstaut. Auspacken und einrichten ist dann angesagt. Man ist von dem Gefühl bestimmt, sich an diesem neuen Ort niederzulassen und es sich gemütlich zu machen, Ordnung in das Chaos der Kisten zu bringen und einfach ein Zuhause zu finden. Es gibt uns Sicherheit zu wissen, dass alles an seinem Platz ist und in geordneten Bahnen läuft. Wenn wir in solch einer Sicherheit angekommen sind, wollen wir oft gar nichts von Veränderungen wissen, schließen sie vielleicht sogar bewusst aus.
Theoretisch wissen wir natürlich, dass nichts ohne Veränderung geht, aber praktisch ignorieren wir das dann doch lieber.
„Denn wer sicher wohnt vergisst, dass er auf dem Weg noch ist.“ Was ein bisschen wie eine Weisheit von Meister Yoda aus den „Star Wars“- Filmen klingt, ist eine Zeile aus dem Lied „Komm in unsre stolze Welt“ von Hans von Lehndorff (Evangelisches Gesangbuch, Nr. 428). Diese Liedzeile stellt die von uns ersehnte Sicherheit in Frage und rüttelt uns auf in unserem Vergessen: Auf dem Weg sind wir! Noch längst nicht angekommen! Auch wenn wir immer meinen, es sei anders.
Auch viele der Geschichten in der Bibel sind Weggeschichten: Abraham und Sara; Mose und das Volk Israel; Jesus; die Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu und viele, viele mehr.
Und in diese so alte Tradition reihen sich seit Jahrhunderten Menschen ein, die für einen bestimmten Zeitraum ihre gewohnte Sicherheit verlassen und sich auf eine Pilgerreise begeben. Eine Pilgerreise ist immer ein Abenteuer- und manche Pilgerwege sind abenteuerlicher als andere. Für einige Menschen geht es dabei um das Ziel als solches: die Kathedrale von Santiago, der Petersdom in Rom oder welches Ziel auch immer. Für andere geht es aber eher um das Gehen an sich. Denn wer sich auf einen Pilgerweg begibt, der begibt sich immer gleichzeitig auf eine äußere und eine innere Reise.
Natürlich kann man sich fragen: Warum das alles? Warum soll ich meine Gewohnheiten und meine Sicherheit verlassen, wenn es in ihnen doch auch so gemütlich ist?
Diese Frage habe auch ich mir während meiner Pilgerreise mehr als einmal gestellt. Für mich ist Pilgern „das Leben im Kleinformat“ und alles, was ich in der Zeit erlebt und über mich gelernt habe, lässt sich von diesem Kleinformat auf mein Leben übertragen. Wenn ich mich auch körperlich auf den Weg mache, bin ich (zwangsläufig) offener für das Unvorhersehbare und lerne wieder, mit diesen unerwarteten Situationen kreativ umzugehen. Ich lerne meine Grenzen kennen, dass nicht immer alles nach meinem Willen geht, finde meinen eigenen Weg, meinen eigenen Rhythmus. Ich lerne auch, zu scheitern und dass manchmal tatsächlich der Weg entscheidender ist, als das Ziel. Ich bin schutzloser als in meinem festen Haus mit den festen Mauern und viel mehr auf die Gnade und Hilfe Gottes und die Gnade und Hilfe anderer Menschen angewiesen.
Aber das alles lässt mich wieder mehr Vertrauen zu Gott entwickeln und mein Leben wieder mehr aus meinen eigenen Händen und meinem eigenen Willen geben in die Hände dessen, der mich auf meinem äußeren und auch auf meinem inneren Weg begleitet.
Mit Gott sind wir immer auf einer Reise und als Christinnen und Christen in dieser Welt nie angekommen an unserem Ziel.
„Denn wer sicher wohnt vergisst, dass er auf dem Weg noch ist.“
Ihre Pfarrvikarin
Andrea Deminski