Aus unseren Andachten STILLE passions ZEIT (von Pfarrerin Andrea Deminski)

30 Minuten…
…für Gott, …für Stille, …für Gebet

Petrus

„Du kannst dich auf mich verlassen. Felsenfest.“ Der das zu Jesus sagt, Petrus, heißt auch so. Jesus hatte ihm, dem Fischer Simon vom See Genezareth, den Beinamen Petrus verliehen. Auf Deutsch heißt Petrus „Felsen“. „Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“, hatte Jesus gesagt. Aber auch Felsen können zerbrechen; sie verwittern und werden instabil, sie können zerschlagen werden.

Diese Erfahrung macht Petrus am eigenen Leibe: in jener verhängnisvollen Nacht vor dem Tod seines Freundes und Lehrers. Verrat und Gewalt werfen ihre finsteren Schatten voraus. Jesus weiß, was ihm bevorsteht. Und er kennt seine Pappenheimer, auch den vermeintlich so tapferen Petrus. „Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen“, sagt er voraus. Petrus antwortet: „Und wenn ich mit dir sterben müsste, will ich dich nicht verleugnen.“ (Mt 26,35) Gut gebrüllt, Löwe, aber eben nur gebrüllt. Die übrigen zehn Jünger stimmen tapfer ein – einer, der Verräter, war ja schon ausgeschieden und bereits mit den Soldaten unterwegs zur Gefangennahme.

Wir wissen, was dabei geschah. Allen rutschte das Herz in die Hose. Jetzt herrschte die Gewalt, und nichts mehr war’s mit tapferen Worten. Was hätten die braven Männer auch groß tun sollen? Petrus immerhin versucht mutig dazwischenzugehen, als die Soldaten auftauchen. »Steck dein Schwert in die Scheide!“ beendet Jesus den sinnlosen Versuch. Und wird in die Nacht geführt, zu Verhör und Folter.

Petrus folgt heimlich; er will doch wissen, was weiter geschieht. Aber dann, als er, noch im Morgengrauen, gefragt wird: „He, du bist doch auch einer von denen!“ Da zerbricht der Fels. »Keine Ahnung, wovon du sprichst«, sagt er. Und der Hahn kräht. Da erinnert sich der Mann an die Worte Jesu – und geht ins Freie, bitterlich weinend.

Auf diesen brüchigen Fels also ist die Kirche gebaut, und das ist auch gut so. Der fatale Hahn blieb der Kirche verbunden; er wurde zum Wetterhahn, dreht auf vielen Kirchtürmen seine Kreise und erinnert daran: Kirche ist und bleibt zutiefst menschlich, irdisch. Sie lebt nicht aus eigener Macht und Pracht. Sondern von der Vergebung.

Die Geschichte des Petrus ist also alles andere als eine Heldengeschichte. Aber neben Jesus ist gerade dieser wankelmütige, oft gänzlich unverständige Mensch die zentrale Figur in den Evangelien. Niemand sonst wird so oft erwähnt. Offenbar hat er vor und nach dem Tod Jesu eine zentrale Rolle in der Schar der Anhängerinnen und Anhänger gespielt. Doch recht oft wird gerade er negativ charakterisiert. Einmal beschimpft ihn Jesus laut und deutlich: „Du Satan!“, fährt er ihn an. Weil Petrus nicht verstehen kann, dass Jesus einen Weg vor sich hat, der ihn ins Leiden und in den Tod führen wird. Und dass er diesen Weg freiwillig auf sich nimmt. Wer könnte das auch verstehen?

In der biblischen Gestalt des Petrus lernen wir keinen Heiligen kennen, sondern einen höchst anfechtbaren Menschen. Der wohltuende Realismus der biblischen Erzählungen besteht darin, dass sie diese menschliche Seite nicht unterschlagen. Erst spätere Zeiten haben den Jüngern Heiligenscheine aufgesetzt. Damit wird zwar die unverzichtbare Bedeutung dieser ersten Glaubenszeugen unterstrichen, zugleich aber wird der Zugang zu ihnen erschwert – es sind Menschen wie du und ich, mit ihren Stärken und mit ihren Schwächen.

Oft wissen wir gar nicht, was unsere Stärken und was unsere Schwächen sind. Auch Petrus hätte vermutlich nie von sich gedacht, dass er seinen geliebten Meister Jesus verleugnen würde. Etwas, das er für seine Stärke hielt, ist ihm zur Schwäche geworden.

Was sind meine Stärken, was sind meine Schwächen? Wo werden meine Stärken zu Schwächen und meine Schwächen vielleicht auch zu Stärken?

Mit diesen Fragen gehen wir in die Stille.
(März 2016)