Liebe Gemeinde,
kennen Sie das Spiel „Der gordische Knoten“? Falls nicht: bei diesem Spiel stehen alle Teilnehmenden in einem Kreis, strecken die Hände zur Mitte hin und schließen die Augen. Danach suchen alle Spielenden mit ihren Händen nach anderen Händen; jede Hand muss eine andere greifen. Auf diese Weise entsteht ein „Gordischer Knoten“, der nun gelöst werden muss- und zwar ohne dass die Mitspielenden die Hände loslassen. Das Spiel selbst geht zurück auf die gleichnamige Sage- doch hat in ihr niemand den Knoten mit Geduld aufgedröselt, sondern Alexander der Große soll ihn mit dem Schwert zerschlagen haben.
Manche Probleme in unserem Leben und in unserem Alltag fühlen sich vielleicht auch manchmal an wie solch ein „Gordischer Knoten“: verworren, verknotet, festgefahren, niemand weiß, wo Anfang und Ende sind. Da ist die Sehnsucht nach jemandem, der oder die dies alles mit einem Schlag verändert und alles Verworrene, Verknotete und Festgefahrene löst, sehr groß und verständlich.
Doch so etwas erleben wir nur selten- und wenn doch machen wir vielleicht die Erfahrung, dass diese plötzliche Veränderung sehr schmerzhaft war.
Dem Bild von Alexander dem Großen, der mit der Kraft seines Schwerts den Knoten zerschlägt, möchte ich das Bild einer Frau gegenüberstellen: Maria, die Knotenlöserin. Dieses Bild ist in Argentinien, sehr beliebt, aber es stammt ursprünglich aus einer Kirche in Augsburg. In dieser Darstellung nimmt Maria verworrene und verknotete Bänder in die Hand, und anstatt sie zu zerschlagen oder wegzuwerfen, nimmt sie sich Zeit, um mit Geduld all das wieder aufzudröseln, was sich verknotet hat. Sie nimmt es aus der Hand eines Engels verknotet entgegen und gibt es ab in die Hand eines zweiten Engels, entwirrt, damit daraus Neues entstehen kann.
Ein schönes Bild dafür, dass sich Probleme und festgefahrene Situationen oft nur mit Geduld und Mühe lösen lassen. Und für mich auch ein sehr schönes Bild dafür, dass Veränderungen ebenfalls nur auf diese Weise entstehen: mit Geduld und Zeit, nicht mit einem Schlag, der alles Alte einfach zerstört. Bestehendes wird aufgedröselt und geschaut, was erhalten bleiben soll und wo Dinge vielleicht neu verbunden oder mit ganz Neuem ergänzt werden können.
Für persönliche Veränderungen ist der Jahreswechsel für viele Menschen ein Anlass, aber auch die Passionszeit ist in den letzten Jahren wieder neu in das Bewusstsein der Menschen gerückt: als Möglichkeit, den Alltag zu verändern. Sieben Wochen lang auf Schokolade, das abendliche Glas Rotwein, das Handy oder den Fernseher zu verzichten kann dabei helfen, wieder bewusster zu leben, weil man genauer auf das achtet, was man tut- oder lässt. Vielleicht erkennt man dabei, dass man gar nicht so sehr an bestimmte Dinge gebunden ist, wie man immer dachte. Und vielleicht beginnen sich so auch Knoten und Verworrenes langsam zu lösen. Der bewusste Verzicht kann uns öffnen für das, was wir um uns herum sonst nur am Rande wahrnehmen und er kann uns öffnen für Gott in unserem Leben.
Ihre Pfarrvikarin
Andrea Deminski