Das Christentum in frühester Zeit

Studie über den mutmaßlichen Weg des Christentums in frühester Zeit ins Dietzhölztal, von Hilda Weg

Von der Verkündigung des Evangeliums im Dietzhölztal in der allerfrühesten Zeit liegen leider keine Urkunden vor. Wir glauben aber, dass sich Spuren davon in der Geschichte erkennen lassen.

Die Dietzhölze entspringt in einem weltabgeschiedenen Tälchen zwischen den Ausläufern des Rothaargebirges, die Wasserscheide und Grenze zwischen Hessen und Nordrhein-Westfalen bilden. Sie mündet bei Dillenburg in die Dill. Bis dahin hat sie einen längeren Lauf zurückgelegt als die Dill. Dass der weitere Wasserlauf trotzdem Dill heißt, hat wahrscheinlich sein Ursache darin, dass im vorigen Jahrtausend die Dietzhölze Stammesgrenze war zwischen den Franken und den Chatten, den späteren Hessen. In einer Urkunde aus dem Jahr 1048 wird sie genannt als „die Grenze der Grafschaft Heigeromarca (Haigermark) vom Ursprung der Dietsulze abwärts, wo sie selbst in die Dillena fließt.“ (Wormser Copiar Hannover Nr. 1020, veröffentlicht im Herborner Urkundenbuch I, 12)

In der Zeit um Christi Geburt war auf dem Heunstein, der ersten hohen Bergkuppe der Gebirgskette des hessischen, damals chattischen Gebietes links vom Lauf der Dietzhölze eine Wallburg errichtet, die der Bevölkerung als Fliehburg diente. Nach den Forschungsergebnissen von Museumsdirektor Dr. Kusch wurde sie im Chattenkrieg des römischen Kaisers Domitian etwa 83 n. Chr.geschleift. (W. Hain, Heimatblätter (Beilage zur Dill-Zeitung) Januar 1954).

Dieser Kaiser war ein besonders grausamer Despot, der die Christen zwingen wollte, seinem Bild zu opfern. Inwieweit der verborgene Weg der verfolgten Gemeinde Jesu durch seine Feldzüge mit gebahnt wurde, werden wir in der Ewigkeit sehen. Jedenfalls muss vor dem 8. Jahrhundert ein auf die biblische Botschaft von der Gnade Gottes gegründetes Christentum in dieser Gegend bestanden haben, das heißt, ehe die christlichen Gemeinden von Bonifatius organisiert und in der römischen Kirche zusammengefasst wurden.

Wo Mosel und Lahn in den Rhein münden, führte eine uralte Straße von Trier her bei Irlich (nördlich von Neuwied) aus dem Rheintal herauf auf den hohen Westerwald nach Herborn und von dort weiter nach Osten. Da in Trier sehr früh eine keltische Kirche bestand, mögen auf ihr jene Boten gekommen sein, von denen Pfarrer Karl Nebe in der Zeitung für das Dilltal am 24. 10. 1910 (70. Jahrgang Nr. 249)  schreibt:

„Sendboten der keltischen Kirche scheinen es gewesen zu sein, die hier in der Gegend zuerst….die frohe Botschaft vom Weltenheiland in das Dunkel der heiligen Haine getragen haben. Die keltische Kirche unterstand lange Zeit nicht der Botmäßigkeit des römischen Stuhles. Vielleicht mehr dem Evangelium gemäß….. So kam es, dass der unter dem Namen Bonifatius bekannte Apostel Winfried 740 beim Beginn seiner Tätigkeit in den Landstrichen hier bereits Christen vorfand. 739 hatte er einen päpstlichen Bestallungsbrief erhalten, der ihn u. a. bei den Nistresern, Wedrewern und Lognaern, das sind die Christen an der Nister (Westerwald und wohl auch Haigergau), in der Wetterau und an der Lahn, zur Empfehlung dienen sollte. In diesem Schreiben, das sich heute noch im bischöflichen Archiv zu Mainz befindet, wurden die schon getauften Fürsten und Völker aufgefordert, den Winfried, der von Gregor II. ordiniert und in der Regel und Norm des Katholischen Glaubens der römischen Kirche unterrichtet sei, würdig zu empfangen, die Bischöfe und Priester, die er kraft seiner apostolischen Vollmacht einsetzen werde, anzunehmen und ihn auf keine Weise hindern, wenn er Andere, die von den kanonischen Ordnungen abwichen oder vom rechten Glauben (d. i. von der katholischen Kirche) abirrten, abwehre.

Wer nicht gehorche, ziehe sich die Verdammnis zu. Aus diesem Brief ergibt sich klar und deutlich, dass das römische Kirchentum hier in der Gegend auf keinen festen Füßen stand…“

Über 600 Jahre lang scheint sich  in der Deckung der undurchsichtigen Wälder die Gemeinde im Untergrund gehalten zu haben, bis im 13. Jahrhundert die entartete Kirche anfing, die sogenannten „Ketzer“ zu verfolgen. Davon berichtet uns weiter K. Nebe in der Zeitung für das Dilltal vom 28. 12. 1910 (Jahrgang 70, Nr. 303):

„Es kann uns nicht wundern, wenn im geheimen die alte Lehre der Keltenkirche fortlebe und dann hier und da diese ketzerischen Unterströmungen in der Kirche auch offenbar wurden. So hat man es wohl mit zu erklären, wenn um die Mitte des 13. Jahrhunderts in Hessen, im Wittgensteinischen und im Siegenschen eine weit verbreitete Ketzerei zu finden war.

Gegen diese Bewegung wütete vor allem der fanatische Ketzermeister Konrad von Marburg. Ganze Ortschaften musste man damals ausbrennen, um diese Ketzerei in der katholischen Kirche auszurotten. Als Exekutor dazu hatte sich der Landgraf Konrad von Hessen gefunden. Derselbe ließ alle Versammlungsorte dieser Sonderungsgemeinden, die sog. Ketzerschulen im Lande zerstören, insonderheit 6 Ortschaften in der Grafschaft Nassau. Dass diese religiöse Bewegung auch das Kirchspiel Ebersbach nicht unberührt gelassen hat, zeigt uns die damals erfolgte Zerstörung des nahen Wilnsdorf (1223)…. In demselben Jahr fand der berüchtigte Ketzermeister Konrad von Marburg seinen Lohn. Auf seiner Heimreise von einem Zug gegen die Ketzer ward er in der Nähe von Marburg von einem Ritter von Dernbach erschlagen (Dernbach lag bei Bad Endbach)

Gegen Ende des 14. Jahrhunderts machte diese religiöse Unterströmung der katholischen Kirche in Nassau wiederum zu schaffen im Nassauer Land. Die Limburger Chronik erzählt davon: Um 1388 sei ein Unglaub offenbar geworden, der habe heimlich gewährt, mehr als 600 Jahre oder länger. Dieser Unglaub war also, dass man nicht andere Heilige anrufen sollte, denn sie beteten vor niemand; item sie hielten, dass zween Wege wären, wenn ein Mensch gestorben wäre, so führe er gen Himmel oder in die Hölle; item hielten sie ihren Sitten, dass ein purer Laie mochte also wohl conseciren (Sakramente verteilen); item hielten sie in ihren Sitten, dass ein Priester oder Papst kein Ablass möchte geben; item hielten sie, dass das Gebot Almosen geben, Messen, Fasten, das  hülfe alles nicht der Seelen, wenn man danach täte.

Bis dahin die Ausführungen von Nebe.

Wir irren sicher nicht, wenn wir uns vorstellen, dass in diesen Sondergemeinden die Botschaft von der freien Gnade in Jesus verkündigt wurde. Die Ketzerbach in Marburg, die nicht weit von der Elisabethkirche floss und nun, von Beton bedeckt, Vielen Parkplätze bietet, hat wohl die Not der Verfolgten mit ins Meer der Ewigkeit genommen. Mancher Flurname in unserer Heimat und mancher verschwommene Bericht der Alten mag noch Kunde von jenen Zeiten geben. So wurde uns erzählt, dass Wissenbach früher am „Alten Stück“ lag, zwischen der „Schwärze“, die nun bereits wieder bebaut ist und dem „Wüstegarten“, dem Gebiet des jetzigen Friedhofs, an den das „Scheunenstück“ (jetzt Fußballplatz) angrenzt. Als „Wüste Siedlung“ ist das „Alte Stück“ noch bezeichnet im Heimatadressenbuch 1933. Nanzenbach, das am Schnittpunkt der hessisch-nassauischen Grenze lag, wird 1271 als Wüstung bezeichnet, aus der Leute in Herborn wohnten, die den Namen ihres Heimatortes angenommen hatten. (Gensicke, 1050 Jahre Herborn, S. 19)

Wissenbach und Nanzenbach liegen unweit von dem anfangs genannten Heunstein. Dazwischen liegt der sog. Heilige Berg, der nachweislich noch zu Anfang des vorigen Jahrhunderts in Privatbesitz war. An seinem Hang zum Dietzhölztal hin finden sich reichlich Schiefervorkommen und uralte Stollen. Der weiche Stein, der sich gut bearbeiten ließ, mag manchem stillen Menschen, der dort als Köhler oder Bergmann sesshaft war, Deckung und Bergung gewährt haben.

Auffallend ist, dass aus dem kleinen Ort Wissenbach, der um 1400 von etwa 10 Familien bewohnt war, seit 1392 junge Männer die Universität in Erfurt besuchten. (Becker, die evangelischen Kirchenbücher, Heimatblatt, Jahrgang 8, Seite 31).
Es sind uns aus jener Zeit die Namen von 11 Geistlichen überliefert, die den Herkunftsnamen Wissenbach angenommen hatten.

Die Grafen von Nassau-Dillenburg führten 1530 die Reformation ein. Von Kampf oder Widerstand bei ihren Untertanen ist uns nichts bekannt. In der Zeit von 1577 – 82 nahmen sie das reformierte Bekenntnis an. 1584 wurde die Hohe Schule in Herborn gegründet, die zu einer geistigen Zentrale des Calvinismus wurde. Die Bevölkerung des Dietzhölztals scheint den dreimaligen Wechsel des Bekenntnisses in einem Jahrhundert ohne Schwierigkeiten verarbeitet zu haben. Es gingen immer wieder Geistliche aus den Alteingesessenen hervor.
(In diese Zeit fällt der im Februar 2011 erschienene lesenswerte Roman von Ingrid Kretz: „Der Geschmack des Wassers“ über einen Hexenprozess gegen zwei Wissenbacher Frauen. > mehr )

Das nächst Jahrhundert war geprägt von der Not des 30 jähr. Krieges. Pestepidemien minderten die Bewohnerzahl auf die Hälfte. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts verliefen das kirchliche und das bürgerliche Leben in geordneten Bahnen. Dann aber kamen die Franzosen durch den Siebenjährigen Krieg in unser Tal. Ihr Weg war nicht nur gezeichnet durch Zerstörung des Dillenburger Schlosses (1760), sondern sie brachten auch den Geist der französischen Revolution, verbunden mit viel Unruhe, Armut und Unmoral ins Land.

Der Volksschlag, so wie er sich in unseren Ahnen darstellte und in unserer Erinnerung lebt, war geprägt von harter Arbeit in den Bergwerken und Eisenhütten, sowie von der Stille der Wälder und kargen Felder, die ihnen Nahrung und Beheimatung boten. Es mag aus jener Zeit, als sie ihre Kohlenmeiler Tag und Nacht bewachen mussten und in Waldschmieden im Schein ihrer Feuer die Wandlung vom glutflüssigen Eisen in harte Werkzeuge und Waffen erlebten, ein Hang zum Nachdenken über religiöse Zusammenhänge und ein starkes Beharrungsvermögen geblieben sein.

Wie Gott sein Werk unter ihnen tat, entzieht sich weitgehend unserem Blick. Das Baugerüst, durch das Er im Wandel der Zeiten Seine Gemeinde gebaut hat, veränderte sich mit dem wachsenden Bau. Wir dürfen nur dankbar erkennen, dass die Botschaft von seiner Gnade bis heute unverfälscht unter uns verkündigt wird. Hilda Weg